Vermischtes

Kritische Analyse des Diskussionspapiers
Gesamtkonzept der informatischen Bildung
erarbeitet vom GI-Fachausschuss 7.3 "Informatische Bildung an Schulen"
Peter Bartke

In einem eine Seite umfassenden Beitrag der Zeitschrift LOGIN wird als Zusammenfassung der Diskussion zweier Tagungen (INFOS '99 und Informatik '99) ein Gesamtkonzept der informatischen Bildung vorgestellt.

Ich habe in diesem Papier fast keine zustimmungsfähige Aussage finden können; deshalb kommentiere ich - häufig mit einem sarkastischen Zungenschlag, den man mir nachsehen möge - im folgenden jeden einzelnen Satz.


Prolog

Um die Bildung im nächsten Jahrtausend abzusichern, ist die informatische Bildung als derjenige Teil der Allgemeinbildung, der Sach-, Handlungs- und Beurteilungskompetenz im Umgang mit Informationen und Informatiksystemen ausbildet, unverzichtbar.

Die gesamte Bildung und das gesamte nächste Jahrtausend im Visier, wird eine Trivialkompetenz eingefordert. Schon immer werden - und das in allen Fächern - derlei Kompetenzen im Umgang mit `Informationen' angestrebt. Der von der GI kreierte Verallgemeinerungsbegriff `Informatiksystem'1) vernebelt: umgehen kann man nur mit konkreten Instanzen. Der `informatischen Bildung' wird hier eine Rundumschlag-Aufgabe zugeschoben, die sich viele andere Beteiligte (Fächer) sicher nur ungern aus der Hand nehmen lassen.

Die Informatik entwickelt ein Grundverständnis für die Nutzung von Computern in anderen Unterrichtsfächern und im Alltag.

Ein Grundverständnis für die Nutzung von Rechnern wird heute privat bereits im Kinderzimmer entwickelt. Beim Telefon, Fernsehgerät und Videorecorder geht es auch ohne wissenschaftliche Beihilfe. `Die Informatik' kann da gar nichts entwickeln. Das geht inhaltlich und sprachlich daneben.

Dies ist Teil eines umfassenden Konzepts zur Integration neuer Medien in die verschiedenen Schulfächer; von der Mathematik bis zur Musik, von der Philosophie bis zur Physik und von der Geographie bis zur Geschichte.

... und von der Religion bis zum Russischen, möchte man alliterieren. Was soll diese Trivialität? Wo ist das `umfassende Konzept'? Schon immer wurden neue Medien in die verschiedenen Unterrichtsfächer eingeführt. Ein neues Physik-Experimentiergerät muß in der täglichen Praxis beweisen, ob es zum besseren Verständnis einer Sache beiträgt. Per Grundannahme bzw. durch die aktuelle Internet-Manie gerechtfertigt wird der Nutzen neuer Medien offensichtlich als gegeben angenommen und nirgends hinterfragt. Beim zeitaufwendigen Hantieren mit dem Rechner innerhalb der (kurzen) Unterrichtsstunden ist jedoch starke Skepsis gegenüber dem Zugewinn an Erkenntnis angebracht. Vor einer vorschnellen Nutzung der Technik sollte eine wissenschaftlich untermauerte Kosten/Nutzen-Analyse stattfinden! Eine These dazu: Der meßbare dauerhafte Zugewinn an Kompetenz bei 20 Minuten Surfen/Multimedia steht in keinem Verhältnis zum erreichbaren Zugewinn in einem gleichlangen klassischen Unterrichtsprozeß.

Das Gesamtkonzept orientiert sich an folgenden Leitlinien:
  1. Interaktion mit Informatiksystemen
  2. Wirkprinzipien von Informatiksystemen
  3. Informatische Modelle
  4. Gesellschaftliche Einbettung von Informatiksystemen

Leitlinien sollten eine klare Sprache sprechen. Sie sollten so abgefaßt sein, daß sich nicht jeder seine eigene Interpretation unterlegen kann. Typischerweise ist von Inhalten des Faches Informatik nicht die Rede. In jedem Punkt kommt `Informatik' als Füllwort vor - die eigenständige Rolle der Informatik als Wissenschaft, ihre Ausprägung in der Schule in Analogie zu den anderen Fächern wird nicht gesehen. Nicht die großen Ideen stehen im Mittelpunkt, sondern das kleinste gemeinsame Vielfache der technischen Systeme.

So wenig es Sinn macht, die Benutzung eines technischen Geräts (Fahrrad, Auto, Waschmaschine, Fernbedienung, ...) zur Leitlinie von Unterricht der allgemeinbildenden Schule zu machen, so unsinnig ist es, die `Interaktion mit Informatiksystemen', nehmen wir mal hier zur Konkretisierung an: das (ununterrichtbare!) Durchklicken durch sich ständig wandelnde Oberflächen zur Leitlinie von Unterricht zu machen. Selbst wenn man sozialkundliche Reflexion draufsattelt - das reicht nicht zur Begründung eines Faches.

Interessant ist der durchschimmernde positivistische Ansatz, die Systeme als naturgesetzlich gegeben anzunehmen, ihre Wirkprinzipien wie ein neugieriger Experimentalphysiker zu untersuchen, statt fundamentale zeitinvariante Ideen der Informatik zu Leitlinien zu erheben - welch' mickriges Zutrauen ins eigene Fach!

In allen Phasen der informatischen Bildung ist die Informatik die Bezugswissenschaft.

Nun ist die Katze ist aus dem Sack: Wir machen nicht Informatik, wir beziehen uns lieber unverbindlich auf sie. Dazu dient offensichtlich das Konstrukt `Informatische Bildung': jeder `Computernde' soll sich mit seiner Aktivität unter diesem Dach wiederfinden. Die Informatik steht daneben, jeder schneidet sich nach seinen Interessen soviel von ihr ab, wie zur Rechtfertigung der Wissenschaftlichkeit gesellschaftlich notwendig ist.

Sie fördert fächerübergreifendes Lernen, da sie Werkzeuge zur Verknüpfung von Informationen aus verschiedenen Fachgebieten bereitstellt und somit die Schüler in die Lage versetzt, komplexe Problemstellungen umfassend bearbeiten zu können.
Es gibt viele Bezüge der Informatik zu anderen Fächern. Diese anderen Fächer nutzen vielfach Rechner, Programme und Internet, ohne sich groß um die zugehörige dahinterliegende Informatik zu kümmern. Die Informatik selbst kann hier gar nichts fördern.

Ein weiterer Fetisch taucht hier auf: die komplexe Problemstellungen, mit denen sich so trefflich Tiefe vortäuschen läßt. Man nehme ein `komplexes' Werkzeug, dessen Klickfolgen sich nicht sofort erschließen - schon hat man eine `komplexe Problemstellung'. Die Handelskammern beklagen sich über den Ausbildungsstand in Rechtschreibung und Mathematik. Jede Lehrkraft hat in ihrer Ausbildung gelernt, wieviel komplexe Probleme im Unterricht angebracht sind. Kleine Probleme vollständig verstanden zu haben ist dreimal besser als an echt komplexen Problemen umfassend gescheitert zu sein. Oder wird ein Problem schon dadurch komplex, daß es breit (fächerübergreifend) angelegt ist? Oder ist `komplex' hier gar synonym zu `unstrukturiert'?

Vermutlich verbirgt sich hier ein Defizit der Informatik-Didaktik, die allen fachlichen Moden hinterherhechelt und dabei versäumt, was ihre ureigene Aufgabe ist: Herausfinden der zeitinvarianten Fachthemen und Reduktion ihrer Komplexität auf eine altergemäße Zugänglichkeit unter weitestgehender Wahrung der fachlichen Korrektheit. Dann wird sich herausstellen, daß - didaktisch geeignet reduziert - manches gar nicht so `komplex' ist.

Durch den enormen Zuwachs an Wissen und Information steht nicht mehr deren Vermittlung im Zentrum schulischer Arbeit, sondern vielmehr die Aneignung von Methoden des Problemlösens, wie sie die Informatik bereitstellt.

An diesem Satz ist alles falsch. Erstens: Der `Zuwachs an Wissen und Information' ist doch ein scheinbarer; die Information ist nur ver-n-facht und - in oft problematischer Qualität - schneller und einfacher zugänglich geworden. Zweitens: richtig verstandene Schule hat nie die Wissensvermittlung um ihrer selbst willen betrieben. Selbstredend hat gute Schule in allen Fächern es sich als höchstes Ziel gesetzt, zum selbständigen Denken zu erziehen. Dazu hat man Problemkreise organisiert, die klein und bewältigbar waren, aber doch so herausfordernd, daß sie genügend geistige Anforderungen zum Problemlösen enthielten. Das gilt für Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften gleichermaßen. Man kann sehr gespannt sein, welches denn die spezifischen Methoden des Problemlösens sind, die die Informatik bereitstellt.

Bereits in der Sekundarstufe I sind kontinuierlich und für alle Schüler verbindlich Stunden für das Fach Informatik zur Verfügung zu stellen, damit der Übergang zur Berufs- bzw. zur Allgemeinbildung in der Sekundarstufe II auf ein verbindliches Curriculum mit wohldefinierten Anforderungen erfolgen kann.
Der Satz erschließt sich sowohl grammatikalisch als auch semantisch nicht ganz. Die Eingangsforderung kann durchaus bestritten werden. All das, was nicht zur Informatik im engeren Sinne gehört (sprich: alles was mit Nutzung von Geräten und Anwendungsprogrammen zu tun hat) kann sehr wohl in dem Maße in die Fächer integriert werden, wie die betreffenden Fachlehrerinnen und -lehrer es für sinnvoll und wichtig erachten.

Ein verbindliches Curriculum mit wohldefinierten Anforderungen ist immer gut. Einer der zentralen Kritikpunkte ist ja, daß es hierzu nicht einmal ansatzweise Überlegungen gibt. Man spezifiziere operational die informatischen Lernziele und die konkreten informatischen Lerninhalte, die am Ende der Sekundarstufe I erreicht sein sollen! Dann wäre viel erreicht und man käme endlich auf Fachinhalte der Informatik zu sprechen.

Zielgerichtetes Recherchieren, Analysieren, Strukturieren, Visualisieren und Verteilen von Informationen müssen in einem solchen Informatikunterricht systematisch thematisiert werden.

Das ist hanebüchener Unsinn, das hat mit Informatik nichts, aber auch gar nichts zu tun. Haben die Autoren je eine Informatik-Vorlesung besucht? Woher nehmen sie die Chuzpe, das als Informatik zu verkaufen?

Erst dadurch kann die Informatik ihrer Aufgabe als Schlüsseldiziplin der Wissensgesellschaft gerecht werden und im erforderlichen Maße zur Lebensorientierung beitragen.

Heiße Luft, Schlagwörter, Nebel, Politikerfloskeln. Die genannten Metaqualitäten gehörten bisher zu den trivialen Selbstverständlichkeiten, die im Rahmen jeder höheren Ausbildung nebenbei vermittelt wurden. Zur Erstellung eines Referats geht die Schülerin in die Bücherei und recherchiert, kopiert die wichtigen Teile, schreibt ihr Referat (Analysieren und Strukturieren), malt die zugehörigen Folien (Visualisieren) und kopiert es (Verteilung an alle).

Was hat das, selbst wenn die Phasen heute rechnergestützt ablaufen (müssen?), mit der `Informatik als Schlüsseldisziplin' zu tun? Was hat das überhaupt mit Inhalten von Schule zu tun?

Die Fähigkeit, einen Informationsraum mit Informatiksystemen zu strukturieren und in solchen Strukturen zu navigieren, d.h. die gewünschte Informationsteilmenge mit vertretbarem Aufwand zu ermitteln und zu bewerten, gehört ebenso zur Allgemeinbildung wie die aktive und verantwortungsbewußte Gestaltung und Verteilung von elektronischen Präsentationen.

Sagen wir's doch ohne die geschraubten Pseudo-Abstraktionen: der `Informationsraum' ist das weltweite Netz und die `Informatiksysteme' sind unser Browser. Dann brauchen wir noch die Fähigkeit, die linke Maustaste auf einen optischen Reiz hin zu drücken .... Die Informationssuche für Referate, Kurzvorträge, etc. hat im Unterricht nichts zu suchen, sie sollte (wie bisher) Hausaufgabe sein. Alles andere ist verplemperte Unterrichtszeit und vor dem Steuerzahler nicht zu verantworten. Für die Beaufsichtigung `den Informationsraum strukturierender' Schüler braucht man keine gut ausgebildeten Fachlehrer. Der Hausmeister kann das auch.

Schließlich bewahre man uns vor den Gestaltungsorgien mit Powerpoint oder Web-Designer xy mit 95% Form und 5% Inhalt. Bitte nicht. Ich kriege jedesmal Ausschlag davon.

Von richtig verstandener Allgemeinbildung ist das alles astronomisch weit entfernt.

Primarstufe

Hier findet eine erste Begegnung mit Informatiksystemen in der Schule statt. Diese muß pädagogisch und fachlich sehr verantwortungsbewußt gestaltet werden.
Was hier fachlich außer gesundem Menschenverstand vonnöten ist, fragt sich wirklich - und ob derselbe hier gewaltet hat! Denn: Häufig hat die Begegnung bereits im häuslichen Kinderzimmer stattgefunden. Sieht man, wieviel Zeit Kinder im Kleinkind- und Vorschulalter bereits vor dem Fernseher zubringen und in Zukunft noch mit dem `Vorschulcomputer' `spielerisch umgehen', so ist eher eine Gegenströmung angebracht: Vermehrt soziale Interaktion und körperliche Bewegung, vermehrt sprachliche und musische Aktivitäten!

Mit der Produktion von Dokumenten wird das Eingeben, Bearbeiten und Ausgeben von Daten erlernt.

Richtig. Das von-Hand-Schreiben ist ja nicht mehr so wichtig. Man wird es in Zukunft eh' nur noch für die Unterschrift brauchen. Zur Einschulung gibt's das Internet-Handy in die Schultüte. Und die Rechtschreibung macht die Rechtschreibprüfung von Word oder was auch immer. - Die Produktion von Analphabeten ist die Folge.

Informatiksysteme als Einheit von Hardware und Software werden benutzt.

Offensichtlich ein Teil der Definition jener Verallgemeinerung. Doch was ist der Sinn des Satzes? Wie wird er sich dem Grundschüler oder seinen Eltern je erschließen?

Die Thematisierung von aufgabenbezogenen Systemkomponenten und Funktionen (z.B. Programme, Scanner, Drucker) wird empfohlen.

Da thematisieren wir gleich noch die Funktionen des Handy und des Videorecorders, damit wir keine Lücken in der `Allgemeinbildung' bekommen.

Ein attributbezogenes Objektmodell kann auf phänomenologischer Ebene vorbereitet werden, indem Objekte identifiziert, Operationen auf ihre Sinnfälligkeit bezüglich dieser Objekte überprüft und der Datenbegriff eingeführt wird.

Was sich die Informatik-Studenten im Hauptstudium schon immer gefragt haben: Warum lernten wir das nicht längst in der Grundschule? Genial!

Ernsthaft: Die Reformen der siebziger Jahre brachten die Mengenlehre bis in die Klassenzimmer der Grundschule. Nichts vom eigentlichen Sinn der mengentheoretischen Grundlegung der Mathematik konnte in die Schule transportiert werden. Es blieb der leere Formalismus des Eintütens von blauen, gelben und roten Rechtecken, Quadraten und Kreisen und das Aufschreiben von Schnitt-, Vereinigungs-, Ober- und Untermengen. Die Eltern liefen Sturm dagegen, weil dem Kinde entwicklungspsychologisch völlig unangemessene Abstraktionsleistungen abverlangt wurden. Die vergleichende Untersuchung einer hier intendierten Grundschul-OOP mit der Schul-Mengenlehre von damals lohnt sicherlich.

Die Konsequenzen konkreter Anwendungssituationen auf Individuen soll bewußt gemacht werden (z.B. Computerspiele hinterfragen, Netiquette vorstellen).
Dieser Satz ist sicher sehr spät nachts entstanden. Was soll die `Konsequenz auf dem Individuum'? Die Entquasung des Satzes gelingt nicht so richtig, dafür wird in der Parenthese der heimliche Lehrplan endlich klar: Surfen, surfen, surfen. Wollten wir nicht vorhin noch das Surfen in der Sekundarstufe I verbindlich machen? Was tun wir in der Sekundarstufe I, wenn die Schüler in der Grundschule schon alles abgeklickt haben jetzt nur noch gähnen?

Sekundarstufe I

Diese Stufe leistet den Beitrag zur Allgemeinbildung aller Schüler aller Schularten.

Ewige Wahrheiten müssen endlich mal ausgesprochen werden.

Die problembezogene Auswahl und Anwendung geeigneter Anwendungssysteme führt zum Kennen und Nutzen informatischer Handlungsstrategien.
Man würde gern etwas konkreter wissen, was eine `informatische Handlungsstrategie' ist. Sie ist in keinem Informatik-Lexikon zu finden. Der Fachkollege nebenan weiß es auch nicht. Raten wir mal. Lehrerfrage: Mit welchem Programm würdet ihr denn die Abrechnung Eurer Klassenreise machen? Schüler: Mit Excel! Mit Office! Mit Delphi! Mit Word! Lehrer erklärt den Unterschied zwischen Excel und Office; gibt Hausaufgabe: Erläutere den Unterschied zwischen Word und Office! Nächste Stunde besprechen wir den Unterschied zwischen Delphi und Office! -

Schade. Das mit der `informatischen Handlungsstrategie' ist immer noch nicht klar.

Aufbau, Arbeitsweise und Klassifikation typischer Informatiksysteme sind zu erlernen.

Ein typisches Informatiksystem besteht aus Hardware, Software und Netz, so haben wir es von der GI gelernt. Also werden wir wohl oder übel Aufbau und Arbeitsweise von Hardware, Software und Netz erlernen müssen. Das kann ganz schön schwierig werden bei Internet-Handys, der ISDN-Anlage oder was auch immer. Noch schwieriger wird es mit einer echten großen Anwendung (Warenwirtschaft o.ä.) werden. In der Sek I? Wollen die das wirklich?

Rechnerarchitektur (von Neumann-Architektur), Rechnernetze (Client-Server-Architektur, Protokollbegriff), Betriebssysteme (Dienste, Zugriffsrechte) und die Daten- und Kontrollstrukturen von Algorithmen werden als Grundkonzepte der Informatik thematisiert.

In starkem Kontrast zur vorangegangenen Inhaltsleere werden nun knüppeldick Informatik-Inhalte präsentiert! Zu Beginn gleich ein Hauptstudiumsfach: Rechnerarchitektur. Die Klammer - es ist wohl das von Neumann-Rechnermodell gemeint - relativiert zwar; aber über `pipeline stalls' und `delay slots' sollte die Lehrkraft dann mindestens Bescheid wissen, oder? Obendrauf setzt man noch zwei weitere Hauptstudiumsfächer: Rechnernetze und Betriebssysteme. Eigentlich sollte im Zusammenhang mit der Sekundarstufe I hier ganz schnell der hot potato-Algorithmus zur Ausführung kommen ... :-).

Die Methode ist klar: Nennen beliebiger Fachbegriffe bzw. Fachgebiete beim Namen. Die fachlogische Einordnung, der Schwierigkeitsgrad, die Reihenfolge ist ziemlich egal. Welche Tiefe angesteuert wird, ob Voraussetzungen zur sachgerechten Aufarbeitung vorhanden sind, interessiert nicht.

Hinter die Klassenzimmertür schaut man nicht so leicht. Die Schüler können den Etikettenschwindel nicht erkennen. Mit dieser Methode läßt sich auch im Grundschulunterricht `echte Informatik' verkaufen.

Alle drei genannten Gebiete liegen weit jenseits der Erreichbarkeit in der Sekundarstufe I im besonderen und der Schulinformatik im allgemeinen. Aber vermutlich wollte man sowieso dem Phänomenologischen verhaftet bleiben und gar keine Informatik betreiben.

Schließlich: `Daten- und Kontrollstrukturen von Algorithmen'. Untersuchen wir die lokalen Variablen und While-Schleife(n) (?!) des Quicksort? Wenigstens hier hätte man etwas Kompetenz erwarten können.

In die Digitalisierung und Kodierung von Informationen zu Daten wird zielgerichtet eingeführt. Das Klassifizieren von Objekten und die Konstruktion objektbasierter Lösungen wird als wesentliche Strategie der Informatik erlernt (ohne Polymorphie).

Die Schüler haben weder Programmieren im Kleinen noch im Großen gelernt, sie konstruieren dennoch sofort objektbasierte Lösungen. Wie das gehen soll, wird ewiges Geheimnis der Autoren bleiben. Oder ist nur an das Zusammenklicken von Anwendungen mit einer entsprechenden Oberfläche gedacht? Für eine ernsthafte Beschäftigung mit der Thematik fehlt jegliche Voraussetzung. Da kann man auch nicht mal eben didaktisch soviel wegreduzieren, daß der Anspruch erfüllbar wäre. Scharlatanerie - allerdings mit Methode. Und die dient dazu, die Themen als `abgegessen in Sek I' zu markieren und der Sek II den Scherbenhaufen zu hinterlassen.

Informationsräume (Verzeichnisstruktur, Hypertext, Datenbank, Rechnernetz) werden strukturiert.
Zum strukturellen Wanderer in Informationsräumen siehe oben. Als Gegenstand des Faches Informatik sind die Themen beliebig kompliziert. Das Erlernen der Navigation ist beliebig einfach. Mit Links, Homepages, Erlernen von HTML, Einbindung von Datenbanken, Skriptsprachen usw. kann man sich Monate beschäftigen. Nur unterrichtet man dann keine Informatik.

Suchstrategien sind anzuwenden und mit der Bewertung von Informationen im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit zu verbinden.
Allenfalls ITG. Keine Informatik.

Die Bewertung der Qualität gefundenen Materials ist häufig unmöglich oder der Aufwand dazu ist nicht vertretbar. Das ist qua Konstruktion des weltweiten Netzes so und wird bei der derzeitigen Euphorie leicht übersehen. Nur im akademischen Bereich und bei kommerziellen Anbietern ist eine Qualitätsbeurteilung in der Regel möglich.

Die Verantwortung für selbstgestaltete und präsentierte Informationen ist schrittweise bei den Schülern zu entwickeln.
Sollen sie HTML lernen? Oder sollen sie die Schul-Homepage mit einem `Tool' bauen? Was heißt hier Verantwortung entwickeln? Wird die Schülerzeitung in Zukunft im Unterricht gemacht? Oder ist Powerpoint gemeint? Fragen über Fragen. Hier wird ein Freizeit-Hobby als Fach in die Schule transportiert.

Die Sensibilisierung für Datenschutz und Datensicherheit ist um den Bereich der Informations- und Kommunikationssysteme zu erweitern.
Datenschutz und Datensicherheit müssen thematisiert werden. Die Sozialkundelehrerin kann das zwar evtl. besser als der Informatiklehrer unterrichten, weil sie viel besser dafür ausgebildet ist und hier sowieso keine Fachkenntnisse vorausgesetzt oder systematisch unterrichtet werden. Das Thema `Sicherheit in Netzen' ist schon auf der praktischen Ebene beliebig kompliziert. Als Fachinhalt ist es unmöglich voraussetzungslos unterrichtbar.

Fazit zur Sekundarstufe I: Nimmt man aus dem Konzept für diese Stufe die Fachgebiete Rechnerarchitektur, Rechnernetze, Betriebssysteme mit ihren unerfüllbaren Ansprüchen heraus, so kommt nur noch ganz wenig Informatik vor. Man sollte das Konzept dann auch konsequenterweise unter einem anderen Titel verkaufen und die echte Informatik (wissenschaftspropädeutisch) in der Sekundarstufe II verankern.

Sekundarstufe II

Sie ist der Standort für die wissenschaftspropädeutische Ausbildung der Lernenden, die eine solche Vertiefung wählen.

Wer unbedingt etwas Wissenschaftspropädeutik haben will, der kann sie wählen. Es wird suggeriert, daß hier Vertiefung stattfindet. Wo aber in der Sekundarstufe I, wie gezeigt, kaum Informatik ist, kann auch schlecht etwas vertieft werden.

Grundkonzepte der Berechenbarkeit und Entscheidbarkeit werden eingeführt, mit abstrakten Maschinenmodellen und formalen Sprachen verbunden, um die Wirkprinzipien von Informatiksystemen fachlich zu untersetzen.

Der erste Halbsatz macht für sich alleine als Fachinhalt Sinn. Die Verbindung zum stereotyp wiederkehrenden Sprechblasenbegriff `Wirkprinzipien von Informatiksystemen' ist überflüssig. Abgesehen von der verquasten Sprache kann man den intendierten Inhalt nur unterstützen.

Exemplarisch bringt man so Transparenz in die Prozeß- und Betriebsmittelorganisation sowie die Rechteverwaltung von Betriebssystemen.

Voll daneben. Wieso `so'? Was haben theoretische Konzepte der Berechenbarkeit und Entscheidbarkeit mit Betriebssystemen zu tun? Was soll der total deplazierte Begriff Transparenz? Wieso sind gerade diese Themen wichtig? Die Rechteverwaltung liegt nun wirklich nicht im Zentrum des Themas Betriebssysteme. Man schlage im Inhaltsverzeichnis eines beliebigen Betriebsystembuchs nach, was von diesem Themenkreis wichtig sein könnte. In Teilen vielleicht machbar im dritten Jahr. Dann aber nur Fundamente.

Im Bereich der Rechnerarchitektur sind alternative Konzepte (z.B. neuronale Netze) vorzustellen.

Verpflichtend vorschreiben, aber ohne Ahnung von der Komplexität des Themas `Neuronale Netze': Nötig sind fundierte Kenntnisse in Matrizenrechnung, Stochastik, partiellen Differentialgleichungen höherer Ordnung, Fouriertransformation etc. etc. . Ein Thema, das Lichtjahre von der Schule entfernt ist und am nächsten an der statistischen Physik liegt. Ein Einblick ist vielleicht in einem Vertiefungteil eines Leistungskurses Informatik möglich. Vorher sollte die unterrichtende Lehrperson ihre Sachkompetenz nachweisen.

Wahrscheinlich ist - wieder mal - nur daran gedacht, die Schüler mit einem Neuronetz-Simulator ein wenig herumspielen zu lassen. Das kennen wir schon: Riesenetikett und heiße Luft drin.

Der Zugang zu Rechnernetzen erfolgt über Topologien, Protokolle und Protokollschichten.

Das nächste Hauptstudiumsthema: Rechnernetze. Es baut logisch auf der `Nichtsequentiellen Programmierung' und den `Betriebssystemen' auf. Durch die intensive zusätzliche Verschränkung mit der Elektro-/Nachrichtentechnik ist es kaum didaktisch auf die Schule reduzierbar.

Die Einführung in die systematische Software-Entwicklung, auch von verteilten Systemen ist mit Grundkonzepten der Software-Ergonomie zu verbinden.

Es ist unfaßlich: Sie wollen auch noch `Verteilte Systeme' auf der Schule unterrichten. Ich schlage als Konkretisierung vor: Algorithmen zum verteilten wechselseitigen Ausschluß. Das hat mit `Grundkonzepten der Software-Ergonomie' - auch für Laien einsehbar - offensichtlich gar nichts zu tun.

Wollen die Autoren der Hochschule für das Hauptstudium überhaupt noch etwas übrig lassen? Ach so, ja: nahezu das gesamte Grundstudium.

Prinzipien und Methoden der Datensicherheit sollen vertieft werden.
Themenkreise aus dem Gebiet Datensicherheit, die einer didaktischen Reduktion zugänglich sind, sollten behandelt werden.

Für das Problemlösen werden schrittweise komplexere objektorientierte Modelle von den Lernenden konstruiert.

Wieder so ein Satzungetüm. Man konstruiert keine objektorientierten Modelle `für das Problemlösen'.

Beurteilungsfähigkeit bezüglich der Zuordnung von Aufgabenklassen zu den verschiedenen Sprachkonzepten (funktional, prädikativ, imperativ) ist zu entwickeln.

Wieder wird nur ein Metaziel angesprochen. Dahinter scheint die Vorstellung zu stehen, daß es objektive Kriterien gäbe, bestimmte Aufgabenklassen nur mit einem bestimmten Sprachparadigma anzugehen. Das ist bestreitbar. Kennzeichnend ist: wiederum geht es nicht um die Sache, die imperative/funktionale/logische Programmierung, sondern um Aufgabenklassen, Zuordnung zu den verschiedenen Paradigmen und dann noch die Vogelperspektive der Beurteilungsfähigkeit. Vermutlich sind Führerschein-Testfragen folgenden Typs gemeint: Welche der Aufgaben kann man mit (1) imperativer (2) funktionaler (3) logischer Programmierung am besten lösen: (a) GUI (b) Rekursive Algorithmen (c) Expertensysteme. Das kann man nach mitteilendem Unterricht lösen, da braucht man die Sache selbst nicht betrieben zu haben.

Die Verletzbarkeit der Informationsgesellschaft kann von den Lernenden mittels kritischer Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen der Informatik verstanden werden.

Die kritische Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen der Informatik ist ein wichtiges Präambel-Ziel, das jeden Oberstufenrahmenplan zieren sollte. An welchen Stellen eines Lehrgangs eine Reflexion Sinn macht, bedarf der genauen didaktischen Analyse. Die gesellschaftlichen Implikationen können dann als Folgerungen aus allgemeinen Erkenntnissen (den Früchten einer echten Allgemeinbildung) entwickelt werden.

Fazit:

Die hinter dem Wortgeklingel hervorscheinenden Interessen sind offenbar:
  1. Massive Einführung von `Computer+Internet' in der Grundschule2).
  2. Verpflichtende Einführung eines Faches NN. in der Sekundarstufe I, dessen Einordnung und Niveau vollkommen im Unklaren bleiben. Es soll aber - das ist nur indirekt erschließbar - alles Grundlegende leisten, das bisher der Sekundarstufe II vorbehalten war.
  3. Kaputtmachen des Informatik-Unterrichts in der Sekundarstufe II: Nennung von Themenkreisen, die völlig jenseits der Reichweite der Schule liegen. Damit: Versuch einer Rettung der Buzzword- und Mitteilungs-Informatik, des Metagequatsches über informatische Themen, statt das Thema selbst zu behandeln.
  4. Abschaffung aller klassischen Inhalte (Algorithmik, Datenabstraktion) in der Sekundarstufe II.

Gesamturteil in Stichworten:

  • Ein Konzept zur Vernichtung der Informatik an der Schule.
  • Versuch der Transformation des Schulfaches Informatik in ein mit Pseudoinformatik garniertes ITG-ähnliches Gebilde.
  • Kein Wort zur Qualifikation der Lehrer, nicht einmal ein Verweis auf die Empfehlungen zur Lehrerausbildung ... (s. Beilage LOGIN 19 (1999) Heft 1)
  • Kein Wort zu den Gefahren von Medien und Netz (Internetsucht, mediale Übersättigung, Realitätsverlust durch Virtualisierung, Verflachung, immense Zeitverluste etc.).
  • Kein Wort zur Finanzierung und personellen Realisierung des `Konzepts'.

Fachleute der GI sollten sich langsam einmischen - solange noch kein größerer Flurschaden angerichtet ist.


Anmerkungen

1) laut Definition die "Einheit von Hard-, Software und Netzen einschließlich aller durch sie intendierten oder verursachten Gestaltungs- und Qualifizierungsprozesse bezüglich Arbeit und Organisation", eine alles und nichts aussagende künstliche Verallgemeinerung zum Zwecke der Verklammerung der diversen Fachbereiche der GI.

2) `Leider' fehlen entsprechende Forderungen zu Kindergarten und Vorschule - könnte man nicht beim virtuellen Verschieben von 3D-Bauklötzen auf dem Bildschirm gleich `die Objektorientierung' einbringen?

Letzte Aktualisierung: P. Bartke, 30. April 2008